Von Kilian Kreitmair (Text) und Alena Wunderlich (Daten, Illustrationen, Fotos)
Lesedauer: ca. 5 Min.
Mit ihren halbhohen, schwarzen Gummistiefeln streift Lisa Born über die Wiese. Die Sonne scheint ihr ins Gesicht. Sie kneift die Augen zusammen. „Wir sind hier die Aliens“, sagt Born und schmunzelt. Was sie meint: Ihr Betrieb passt nicht ins Bild des Oldenburger Münsterlandes.
Beitreibt seit vier Jahren den Bio-Hof am Kolk in Löningen: Lisa Born.
Gemüsepreis stieg für Verbraucher in fünf Jahren um 30 Prozent
Es ist ein kleiner Hof am Rande von Löningen. Kein konventioneller Großbetrieb. Dort baut sie Gemüse an. Tomaten, Paprika, Zucchini. Insgesamt 50 verschiedene Kulturen. Aber noch etwas unterscheidet ihren Betrieb von den anderen: Sie hat zusammen mit ihrem Partner Moritz Füchtenbusch ein Geschäftsmodell entwickelt, das sie weitgehend unabhängig von Preisschwankungen macht. Das Bio-Jahresabo. Denn der Gemüseverkauf an den Großhandel bringt oft weniger Geld, als der Blick auf das Preisschild im Supermarkt vermuten lässt. Laut dem Statistischen Bundesamt wurden Lebensmittel für Verbraucher in den vergangenen Jahr immer teurer. Allein der Gemüsepreis ist in den letzten fünf Jahren um über 30 Prozent gestiegen.
Festgelegt wird dieser vom Einzelhandel. Es gibt Ökonomen, die davon sprechen, dass einige Großkonzerne die Inflation ausnutzen, um den Preis nach oben hin zu korrigieren. Denn in Zeiten starker Inflation geht die Preistransparenz oft verloren. Bestes Beispiel: Das Corona-Jahr 2020. „Der Einzelhandel konnte damals die Preise erhöhen und damit höhere Gewinne erzielen, weil die Menschen angesichts des Lock-Downs mehr Geld für Lebensmittel übrig hatten“, erklärt Anne Margarian vom Thünen-Institut in Braunschweig. Die Wirtschaftswissenschaftlerin beschäftig sich seit Jahren mit der Entwicklung von Lebensmittelpreisen. In einer ihrer Forschungen stellte sich heraus, dass die Margen für Landwirte in jener Zeit verhältnismäßig gering ausfielen.
Gemüsepreise für Landwirte verhalten sich wie Aktienkurse
„Wir sind von den Preisen im Großhandel manchmal schon überrascht“, sagt Born. Denn dort verhalten sich die Gemüsepreise für Landwirte wie Aktienkurse: mal hoch, mal tief und gerade für kleine Betriebe nur schwer kalkulierbar. Der Grund: Die Preise sind vom Angebot und der Nachfrage auf dem Weltmarkt abhängig. Kriege, Krisen und Ernteausfälle beeinflussen den Preis und die Gewinnspanne.
Um dieser Abhängigkeit vom globalen Markt zu entkommen, haben Born und Füchtenbusch das Gemüse-Abo entwickelt. „Wir haben einen Weg gesucht, möglichst kalkulierbar und mit einer großen Sicherheit für uns das Gemüse zu verkaufen“, so Born. „Da sind Gemüse-Kisten eine gute Option.“ Was sie mit ihren Produkten verdienen, entscheidet sich dann nicht auf dem Weltmarkt, sondern unterm Scheunendach.
Dort hat Born ihr Büro. In einem Kalkulationsprogramm stellt sie die Kisten per Mausklick zusammen. Was reinkommt, hängt davon ab, was auf dem Acker wächst. In einer Tabelle hat sie die einzelnen Preise und Produkte aufgelistet. Salat, Kohlrabi, Schnittlauch. Klick für Klick füllt sich die Kiste mit den einzelnen Sorten.
Born muss im Sommer Gemüse an den Bio-Großhandel verkaufen
Gemüse im Wert von 18 Euro muss am Ende in der Kiste sein. Die Hälfte davon ist Gewinn. 2 Euro werden noch für die zusätzliche Arbeitszeit berechnet. Weil sie nicht immer genau auf den gewünschten Betrag von 20 Euro kommt, zeigt ihr das Programm überhalb der gepackten Kiste den bisherigen Jahresdurchschnitt des Kistenwerts an. „Im Sommer sind manchmal auch Waren im Wert von 25 Euro drin und im Winter nur für 15 Euro“, erklärt Born und zeigt auf den Bildschirm.
Denn in den Sommermonaten ernten sie deutlich mehr Gemüse. So viel, dass sie es nicht allein über die Abokisten vertreiben können. Also verkaufen sie einen Teil an Hofläden und Bio-Großhändler. Die Preise, die sie dort bekommen, sind deutlich niedriger als im Abomodell. Arbeitszeit und Kosten bis zur fertigen Tomate bleiben hingegen nahezu gleich. „Wir ernten jeden Tag vier bis fünf Stunden“, sagt Born.
Tomaten sind eines der teuersten Produkte von Born
Born geht durch eine Allee Tomatensträucher des Gewächshauses. Kiloweise rote, grüne und gelbe Tomaten schauen unter den Blättern hervor. Born kniet sich auf auf den Boden und stellt eine Kiste neben sich. Tomate für Tomate zupft sie vom Strauch, legt sie einzeln in die Kiste. „Das ist eines unserer teuersten Produkte“, sagt sie: „Es fließen unzählige Stunden an Arbeit rein, bis man sie ernten kann.“ Schon die Anschaffungskosten sind verhältnismäßig hoch.




Über 80 Abonnenten hat die Gemüse-Kiste von Born
Wie hoch der Gewinn für Born ist, entscheidet sich, an wen sie die Tomaten verkauft. Während ein Kilo Tomaten in der Abo-Kiste 9,90 Euro kostet, bekommen sie für den Verkauf an andere Höfe 5,50 Euro und an den Bio-Großhandel aktuell nur 4,20 Euro. Heißt: Je mehr Tomaten in die Gemüse-Kiste wandern, desto mehr lohnt sich die Arbeit. Doch die vollen 5,70 Euro mehr Gewinn macht Born auch da nicht. „Bei der Gemüsekiste haben wir noch unsere Arbeitszeit“, sagt Born. Sie zieht mit einem Hubwagen eine Palette voller Tomaten in die Lagerhalle. Überall türmen sich grüne Kisten. Darin: Zucchini, Auberginen, Honigmelonen. Sie fährt die Tomaten-Palette vor ein Rollband. Auf diesem packt sie einmal pro Woche mit zwei Mitarbeitern die Kisten.
Zwei Stunden dauert es, bis die 80 Kisten mit Tomaten, einer Aubergine, einer Honigmelone, Mais und Kartoffeln gefüllt sind. Danach werden diese an fünf Abholorte gefahren. Beim Verkauf an andere Höfe und dem Bio-Großhandel sparen sie sich die Zeit, jede Kiste einzeln zu packen. „Wenn ich 80 Kisten mit 500 Gramm packe, sind das 40 Kilo und dauert länger, wie bei einer Kiste mit 50 Kilo Tomaten für den Bio-Großmarkt.“ Trotzdem: Der Gewinn ist bei einer Abo-Kiste größer.
Einnahmen sinken im Sommer durch das Gemüse-Abo nicht
„Innovation gibt den Unternehmen Macht über den Preis“, erläutert Margarian vom Thünen-Insitut: „Gerade durch die Direktvermarktung werden hohe Gewinne erzielt.“ Ein weiterer Vorteil ihres Gemüse-Abos: Während bei vielen Betrieben die Einnahmen im Sommer sinken, bleiben diese bei ihr weitgehend gleich. Denn Borns Kunden sind vertraglich gebunden, auch in den Urlaubsmonaten die gleiche Summe zu zahlen.
Das schreckt auf der anderen Seite aber auch Kunden ab. „Ich bräuchte so ein Abo eigentlich nur im Winter“, sagt Sabine Hinxlage aus Cloppenburg. Im Sommer baut sie den Großteil des Gemüses selbst an. „Wir sind manchmal sehr spontan unterwegs und könnten dann die Kiste nicht abholen“, meint Anke Jansen. Dazu kommt: Bis einen Tag vor der Abholung bleibt der Inhalt eine Überraschung.
Cloppenburger wissen nur wenig vom Gemüse-Abo
Dass Born weiterhin einen Teil des Gemüses an den Bio-Großhändler für weniger Gewinn verkaufen muss, liegt auch an der Bekanntheit. Einige Cloppenburger haben vom Gemüse-Abo bisher nicht gehört. Einer davon ist Jörg Otte: „Ich finde das Konzept super, aber kannte es bisher nicht.“ Um das mit Werbemaßnahmen zu ändern, hat Born wegen der vielen Hofarbeit kaum Zeit.
Das bedeutet: Durch die Selbstvermarktung macht sie zwar mehr Gewinn, muss aber auch mehr leisten. Um sich noch unabhängiger von den Großhandelspreisen zu machen, plant Born ihr Gemüse ab kommendem Jahr auf dem Wochenmarkt in Oldenburg verkaufen. Dort kann die Landwirtin gleichzeitig Werbung für das Gemüse-Abo machen.
„In der Direktvermarktung wollen wir genauso breit aufgestellt sein wie auf dem Feld“, sagt sie. „Dann haben wir erstmal vier verschiedene Kanäle und können es ausgleichen, wenn ein Weg gerade nicht so viel Gewinn bringt.“ Denn am Ende wird es der Mix aus den verschiedenen Wegen sein, zwischen denen Born auswählen kann, um das Maximum an Gewinn zu erwirtschaften. Gelingt das, könnten sie von den Aliens die Vorreiter der Region werden.